„Es nicht unbedingt notwendig, schon so früh Mendelsche Gesetze auswendig zu lernen“ – Interview mit Arndt Müller (Bündnis 90/Die Grünen)

Arndt Müller arbeitet beim BUND in Schwerin und steht zur diesjährigen Landtagswahl auf Listenplatz 20 für Bündnis 90/Die Grünen. Im Interview mit unserer Redakteurin Hannah erzählt er, warum er sich für eine stärkere gemeinsame Schulzeit einsetzt und junge Menschen nicht in Jugendparlamente verbannen möchte.

Arndt Müller (Quelle: gruene-mv.de) Wie würden Sie Ihre Partei in 3 Worten beschreiben?
Bürgernah, streitbar und ökologisch.

Was meinen Sie mit streitbar?
Bei den Grünen gibt es keine vorgefertigten Meinungen einer Funktionärselite, sondern jedes einzelne Mitglied hat die Möglichkeit, seine Position mit den anderen offen auszudiskutieren. Auch wenn es im Endeffekt natürlich zu einem Konsens kommt, wird jede Meinung respektiert und in die Beschlussfassung mit aufgenommen.

Ist dies das Besondere an den Grünen?
Ja, diese bunte Vielfalt an Weltanschauungen zeichnet uns aus. Natürlich haben wir gewisse inhaltliche Schwerpunkte, die uns alle einen, beispielsweise unser Engagement für ökologische Themen. Aber es existiert ein offener Meinungsaustausch über Inhalte und Zielsetzungen unserer Partei, der auch die verschiedenen Generationen mit einbezieht. Es gibt eben nicht nur die Interessen der jungen, dynamischen Generation in Deutschland und nicht nur die Bedürfnisse der älteren Generation, sondern beides muss in einem Dialog verbunden werden.

Welche Verbesserungsideen haben Sie für das Schulsystem in MV?
Die Grünen vertreten die Grundidee, dass das gemeinsame Lernen der Schüler auf 10 Jahre verlängert werden soll. Wie orientieren uns dabei an schon bestehenden Modellen wie aus Finnland, das ja stark vom Bildungssystem der DDR beeinflusst wurde. Es macht keinen Sinn, dass Kinder in “Bildungseliten” und den „Rest“ eingeteilt werden. Eine frühe Trennung wirkt sich besonders schlecht auf die Leistungen von benachteiligten Kindern aus. Ein Grund dafür ist, dass diese Kinder eher in Richtung der schlechter angesehen Formen der allgemeinen und beruflichen Bildung kanalisiert werden.
Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr gut funktioniert, wenn unterschiedlich starke Schüler gemeinsam lernen. Während meiner Schulzeit habe ich sehr oft lernschwachen Schülern in Mathe geholfen. Dafür haben sie mir dann geholfen, den Auspuff meines Mopeds zu reparieren.

Vorausgesetzt, es gebe eine Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse und erst dann könnte man sich entscheiden, auf das Gymnasium zu gehen. Sind 2 Jahre für eine Abiturvorbereitung nicht viel zu kurz?
Nein, wenn man den Inhalten, die am Gymnasium vermittelt werden, etwas ändert, könnte das sehr gut funktionieren. Ich persönlich bin der Meinung, dass der aktuelle Lehrplan viel zu wissenschaftlich und komplex angelegt ist. Mit dieser “Verwissenschaftlichung” wird den Schülern der Spaß am Lernen genommen. Teilweise werden ja heute von Gymnasiasten bereits Kenntnisse gefordert, die früher erst im Studium eine Rolle gespielt haben.
Als studierter Biologe möchte ich das einmal am Fach Biologie veranschaulichen: ein Fach, das von Schülern oft als trocken und lernintensiv beschrieben wird. Meiner Meinung nach ist es nicht unbedingt notwendig, schon so früh Mendelsche Gesetze auswendig zu lernen, bevor man überhaupt praktische Erfahrungen mit der Natur gemacht hat. Viel wichtiger ist es, hinaus in die Natur zu gehen und eigene Nachforschungen anzustellen. Beispielsweise im Tierpark oder mit Naturschützern. Auf diese Weise bringt man die Schüler dazu, bewusst auf die eigene Umwelt aufmerksam zu werden.

Was sagen Sie zu dem Problem der Politikverdrossenheit?
Der Begriff “Politikverdrossenheit” taucht überall da auf, wo den Menschen die aktive Teilnahme an der Politik versagt wird. Den Grünen ist es ein sehr großes Anliegen, die Demokratie attraktiver zu gestalten und die Bürger intensiver an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Vielen Parteien und Behörden ist eine größere Bürgerbeteiligung ja ein Dorn im Auge, weil Beteiligung natürlich auch mit Arbeit verbunden ist. Das widerstrebt so manchen Machtmenschen. Demokratie lebt von diesem täglichen, ergebnisoffenen Aushandeln gemeinsamer Ziele. Menschen von Vornherein aus Machtkalkül oder Bequemlichkeit vom gesellschaftlichen Dialog auszuschließen, spült diese Menschen geradewegs in die Hände extremer Gruppierungen am rechten und linken Rand des politischen Spektrums.
Jeder Mensch hat auch die Verantwortung, sein Leben zu gestalten und sollte diese Verantwortung nicht auf Parteien und Behörden abwälzen. Wir haben alle die Möglichkeit, die Welt ein kleines Bisschen besser zu machen. Ich habe da ein Lieblingszitat aus dem Song “Deine Schuld” von den Ärzten: “Es ist nicht deine schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär’ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.”

Was tut Ihre Partei dafür, junge Leute zum Wählen zu motivieren?
Wir legen sehr viel Wert auf die Einbindung junger, engagierter Leute mit Idee und Lust an Gestaltung. Wie andere Parteien haben auch wir eine “Jugendabteilung”, die bei uns Grüne Jugend heißt. Manche haben auch gleich Lust, bei den “Großen” mitzumischen, sie wollen nicht nur Jugendarbeit leisten. In der Regel ist es aber schon so, dass junge Leute andere, eben junge Vorstellungen haben und dies auch im eigenen Kreis austüfteln wollen. Das ist auch völlig in Ordnung. Wir sind hier im Kreisverband Schwein sehr froh über die tollen Einfälle der Grünen Jugend.
Auch bei der Wahl gilt: Es haben nur die Lust zu wählen, die mit der Entscheidung auch etwas bewegen können. Unser deutsches Wahlsystem ist dahingehend ausgesprochen reformbedürftig. Es gibt dazu viele gute Vorschläge unterschiedlicher Parteien, die aber endlich mal zusammengeführt und umgesetzt werden müssen. Dazu gehört auch das Wahlrecht für Jugendliche ab 16 Jahren. Viele junge Menschen fühlen sich durch die frühe Möglichkeit zur politischen Teilhabe ernst genommen. Wichtig ist dabei, ihnen zuzuhören und sie auch in bestehende Gremien aufzunehmen – anstatt sie in Jugendparlamente zu verbannen, deren Entscheidungen keine bindende Wirkung haben.

Arndt Müller, 41 Jahre alt, ist studierter Biologe und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern seit 2002 in Schwerin.

Schreibe einen Kommentar