„Zeichen setzen“: Landesjugendring startet Wahlkampagne

Die Uhr steht auf halb 6, die Türen schlagen auf. Ort des Geschehens: Ein x-beliebiges Tattoostudio. Er: Ein unscheinbarer Kerl, sportlich, braun gebrannt, kurze Haare. Sie: Lange Mähne mit blonden Strähnen, Piercings im Gesicht, feinfühlig wie ein Baggerfahrer – Typ moderne Rockerbraut. „So Leute, der Countdown läuft. Verpasst es nicht!„, tönt es mit der Stimme von Manfred Lehmann unter dem Gedudel von Hard-Rock-Gitarren aus dem Radio.

Und so nimmt die Geschichte ihren spektakulären Lauf: Unscheinbarer Kerl nimmt Platz, Rockerbraut will wissen, was er will. Blick von ihr, Blick von ihm. Auf Dialoge braucht man nicht zu hoffen, denn die nonverbale Kommunikation scheint bei den beiden ganz gut zu laufen. Er blickt wieder auf, dazu ein Nicken. Er will wohl einen chinesischen Drachen haben. Als Tattoo, versteht sich. „Hey Leute, kriegt euren Arsch hoch – ihr habt noch ne halbe Stunde!„, schallt es wieder aus den Boxen. Ein genervter Blick und ein lässiger Stinkefinger, mehr hat Mr. Ich-will-ein-Tattoo-haben nicht dafür übrig. Stattdessen bereitet sie sich auf das Tätowieren vor: Handschuhe, Stechnadel, Desinfektionstuch. Ein leises Surren, sie legt an. Er scheint cool zu bleiben – zumindestens am Beginn. Doch dann: Seine Fäusten ballen sich zusammen, der Schweiß trieft ihm von der Stirn, schmerzerfüllt verzieht sich sein Gesicht. Ganz im Gegensatz zu ihr: Ein schelmisches Grinsen, als sich die Tinte unter seine Haut schiebt. Doch statt des Drachens erwartet ihn ein ganz anderes Motiv – und ein letztes Mal tönt es aus dem Radio: „Tja, Leute. Wer nicht wählt, ist selber schuld!

Viele Fragezeichen
Was haben wir hier gesehen? Hinter dem zweiminütigen Video steckt der Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern e.V. (LJR), der Interessenzusammenschluss von landesweit tätigen Jugendverbänden in MV. Es ist Teil der Kampagne „Zeichen setzen!„, die sich vor allem an junge Erstwähler in unserem Bundesland richtet. Umgesetzt wurde sie vom Berliner Journalistenbüro röhr:wenzel. Die Wahlkampagne wurde mitsamt Website Anfang der Woche vorgestellt. „Unser Ziel ist dabei, junge Menschen zum Wählen zu aktivieren und auf eigene Mitwirkungsmöglichkeiten an der Demokratie hinzuweisen.“, so LJR-Geschäftsführer Friedhelm Heibrock. An das Video stellt er hohe Erwartungen: „Es ist emotional und jugendlich, das wird fast ein Selbstläufer.“

Ob Selbstläufer oder nicht: Zeichen setzt diese Kampagne tatsächlich – nämlich viele Fragezeichen: Ist es etwa mit körperlichem Schmerz verbunden, wenn man nicht wählen geht? Läuft das Kreuzchensetzen in der Wahlkabine auch so ab, dass man nur mit kurzen Abnickern kommuniziert? Und die drängenste aller Fragen: Fühlen sich junge Menschen von diesem Video wirklich „emotional“ angesprochen? Ich bin mir bei all diesen Fragen nicht wirklich sicher. Meine Zweifel bleiben auch nach dem zweiten, dritten, vierten Ansehen. Zumindestens hat der LJR darauf geachtet, nicht wie 2006 erneut auf die wundersame Wirkung von Fäkal- und Miktionsvokabular zu setzen – nun ja, oder auch nicht.

Ich bin genug mit den Grundsätzen erfolgreicher Kampagnen vertraut um zu wissen, dass diese offenen Fragen selbstverständlich gewollt sind. Der Erfolg von guten Kampagnen steckt jedoch darin, dass etwas hängen bleibt – und besonders, wenn es darum geht, Online-Botschaft (Video) mit Offline-Handlung (Wählen gehen) zu verbinden, sollte der Funken schnell überspringen.
Ich versetze mich kurz in die Lage, ich wäre frische 18 Jahre alt und hätte vor Kurzem irgendwie davon Wind bekommen, dass mein Bundesland bald seinen Landtag wählt. Ich bin gerade online und einer meiner Freunde sendet mir dieses Video zu. Würde ich es mir zu Ende ansehen und danach Zeichen setzen wollen? Oder wäre ich vielleicht nach den ersten 30 Sekunden von dem gniedelnden Gitarrensolo so genervt, dass ich wieder wegklicke?

Was denkt ihr zu der Kampagne? Spricht sie euch an und denkt ihr, dass sie funktioniert? Ich bin gespannt auf eure Kommentare und Antworten!

Ein Kommentar bei „„Zeichen setzen“: Landesjugendring startet Wahlkampagne“

  1. Zuerst frage ich mich, warum ich mir nach dem Lesen des Artikels noch das Video ansehen soll? Oder auch anders herum. So wie es bei mir war. Das Video auf Facebook – dann der Link zum Blog. Text doppelt gemoppelt fast weggeklickt.

    Nun zur Wirkung des Videos. Erstes Ziel einer Kampagne ist die Aufmerksamkeit. Das Video ist frisch und modern produziert. Jedenfalls von der KAmera und vom Schnitt. Die Personen stereotyp angelegt. Jedoch für mich noch annehmbar als Figur. Die Musik rockig, jedoch scheinbar aus dem GEMA freien Katalog. Die nervt wirklich etwas.
    Die Auflösung kommt überraschend und wird vorher nicht verraten. Das ist o.k. .

    Das ein einzelner Videoclip einen Nichtwähler zum Wählen bewegt ist wohl eine Allmachtsphantasie von Werbern. Dazu gehört mehr. Eine Kampagne besteht deshalb auch aus mehreren Elementen als einem Video.
    Schade finde ich, das der Landesjugendring keine Kreativen aus dem Land gefunden hat.

Schreibe einen Kommentar